Altes Kurfürstliches Gymnasium Bensheim

Gymnasium mit altsprachlichem Zweig
Schule mit musikalischem Schwerpunkt
Partnerschule des Leistungssports

Wenn es um das Begreifen historischer Zusammenhänge geht, kann nichts das konkrete, regionalgeschichtliche Beispiel ersetzen. Das machte die Präsentation Klaus Knoches, unseres ehemaligen Schulleiters, vor allen Klassen der Jahrgangsstufe 9 deutlich. Klaus Knoche erläuterte in seinem anschaulich illustrierten Vortrag das Schicksal zweier jüdischer Familien aus Seeheim und Jugenheim in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft.

Zunächst stellte Klaus Knoche die Familie Rosenfeld aus Seeheim vor. Genauer: den 1873 geborenen Hermann Rosenfeld, dessen Frau, die 1888 geborene Emilie Rosenfeld,  und deren beide Kinder, den 1922 geborenen Herbert und den 1925 geborenen Erich Rosenfeld. Zu der Familie gehörte außerdem der Bruder von Emilie Rosenfeld, der schwer behinderte Max Mayer. Mit vielen Bildern und emotional ergreifend zeigte Klaus Knoche, wie nach 1933 die Verfolgung und Entrechtung zunahmen. Es fing mit dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 an. Das traf auch den kleinen Laden der Rosenfelds, so dass Emilie Rosenfeld anschließend hausierend durch den Odenwald ziehen musste, um wenigsten ein wenig Geld zu verdienen. Die Söhne wurden an der Seeheimer Schule so diskriminiert, dass die Eltern sie an eine jüdische Schule in Darmstadt abmeldeten. Um dem älteren Sohn 1938 die Auswanderung nach New York zu ermöglichen, musste die Familie auf letzte finanzielle Reserven zurückgreifen. Während des Novemberpogroms 1938 wurde das Haus der Rosenfelds in der Seeheimer Schlossstraße verwüstet und der behinderte Max Mayer auf brutalste Weise gequält und verhöhnt. Anschließend starb der zu dieser Zeit 65jährige Hermann Rosenfeld, und seine Frau musste für ihren noch im Haus lebenden Sohn und ihren Bruder alleine aufkommen. Es gelang Emilie Rosenfeld, ihren Sohn Erich in einem der letzten Kindertransporte aus Deutschland unterzubringen, so dass er über Lissabon in die USA reisen und die Vernichtungspolitik überleben konnte. Ihren Bruder Max brachten die Nazis zunächst in die Psychiatrie nach Heppenheim, von dort weiter nach Hadamar, wo er am 4. Februar 1941 wegen seiner Behinderung und seiner jüdischen Herkunft ermordet wurde. Auch Emilie Rosenfeld überlebte die Verfolgung nicht. Sie wurde 1942 in eines der Lager im Osten deportiert. Ihr konkretes Schicksal dort ist unbekannt.

Die Familie Brodnitz, die Klaus Knoche im zweiten Teil seiner Präsentation vorstellte, lebte seit 1922 in Jugenheim. Sie war, wie es heißt, vollkommen assimiliert. Die Eltern – Siegfried Brodnitz (* 1866) und seine Frau Ottilie (Tilly) geborene Trier (* 1877) – gaben sich bei der Anmeldung als „religionslos“ an, die drei Kinder – Louise (* 1909), Peter (* 1911) und Martha (* 1914) – besuchten den evangelischen Religionsunterricht. In Jugenheim lebten sie in einer Villa in der Hauptstraße, die vorher die Schwiegereltern, die aus Darmstadt stammende Industriellenfamilie Trier, bewohnt hatte. Siegfried Brodnitz arbeitete als Arzt in Frankfurt im Krankenhaus des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz, wo unter anderem auch Anne Frank zur Welt kam. In Jugenheim zeigte sich Siegfried Brodnitz als sehr mildtätig. In der Weihnachtszeit bezahlte er in verschiedenen Geschäften die Rechnungen ärmerer Kunden. Wegen der antisemitischen Maßnahmen in Deutschland floh Sohn Peter 1935 nach Mombasa (Kenia), schloss sich der britischen Armee an und fiel 1943 als britischer Soldat in Italien. Obwohl in Jugenheim im November 1938 kein Pogrom stattfand, wurden die dort lebenden Juden anschließend ebenfalls Opfer der nationalsozialistischen Willkür. Auch die Familie Brodnitz wurde eines Teils ihres Vermögens durch die Judenvermögensabgabe vom 12. November 1938 beraubt. Außerdem mussten sie weitere Wertgegenstände, zum Beispiel Schmuck, abgeben. Die Tochter Louise, seit 1933 mit Heinrich Türk verheiratet, floh mit Ehemann und den beiden Kindern Doris und Walter 1939 nach England. Dagegen überlebten die jüngste Tochter, Martha, und die Eltern, Siegfried und Tilly Brodnitz, die Verfolgungs- und Repressionsmaßnahmen nicht. Zunächst verkauften sie 1939 ihr Jugenheimer Haus und zogen nach Frankfurt. Von dort wurden die Eltern im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie einige Wochen später ums Leben kamen. Martha Brodnitz wurde im September 1942 nach Raasiku bei Talinn/Estland deportiert, wo sie vermutlich auch ermordet wurde.

An die Präsentation schloss sich eine kurze Diskussion an. Die Fragen der Schülerinnen und Schüler machten deutlich, dass ihnen durch diesen Vortrag einige Aspekte der nationalsozialistischen Geschichte nachvollziehbarer geworden waren. Klaus Knoche wollte seinen Vortrag auch als Teil der Aufklärungsarbeit gegen rechtsradikale Bestrebungen heute verstanden wissen. Dafür erhielt er viel Beifall.