Altes Kurfürstliches Gymnasium Bensheim

Gymnasium mit altsprachlichem Zweig
Schule mit musikalischem Schwerpunkt
Partnerschule des Leistungssports

BENSHEIM. Das AKG setzt ein deutliches Zeichen gegen Ausgrenzung und Rassismus. Bei Recherchen in der Schulgeschichte stießen Historiker auf einen unrühmlichen Abschnitt während der nationalsozialistischen Diktatur. Beim Studium alter Klassenbücher entdeckte man 16 ehemalige Schüler jüdischer Herkunft, die das Gymnasium an der Wilhelmstraße besucht hatten und später Opfer der antisemitischen Terrorherrschaft im Dritten Reich wurden.

Sie ließen ihr Leben in Konzentrationslagern in Auschwitz und Theresienstadt, im französischen Internierungslager oder im Ghetto in Minsk. Gestern, einen Tag vor dem Gedenken an die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November, die den Startschuss für eine mörderische Politik der ethnischen Ausrottung gab, enthüllte die Schulgemeinde eine von Schülern geschaffene Gedenktafel, die Erinnerung und Mahnung zugleich ist.

Die Gedenkfeier in der Mensa stieß auf große Resonanz. Schulleiter Karlheinz Wecht begrüßte neben der leitenden Schulamtsdirektorin Dr. Frida Bordon etliche Vertreter des jetzigen und des ehemaligen Kollegiums sowie von benachbarten Gymnasien. Ebenso Vertreter aus der Politik.

Konfrontation mit der Geschichte

Die bequeme Forderung, doch endlich das düstere Kapitel der Geschichte zu schließen, spiegelt eine Haltung, die gerade in der jüngeren Generation nicht selten zu hören ist. Zumal die Zeit des Nationalsozialismus ihre unmittelbare Erfahrungswelt nicht mehr berührt. Umso mehr Hochachtung zollte Karlheinz Wecht den Schülern, die in der Vergangenheit der Schule forschten und die Gedenktafel kreiert haben.

"Wir können einer Konfrontation mit der Geschichte nicht ausweichen", sagte er. Die Zeit des Nationalsozialismus ist selbstverständlich Teil des Geschichtsunterrichts. Doch wer in Vor-Ort-Recherchen die Spuren der Geschichte erschließt und aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld ein Puzzle aus Bruchstücken zusammensetzen kann, entwickelt eine weitaus höhere Betroffenheit als geschichtliche Fakten dies tun können.

Und wer einmal die Relikte des Schreckens in einem Konzentrationslager gesehen hat, spürt die Dimensionen einer Politik des menschenverachtenden Rassismus. "Wir als Schulgemeinde treten dafür ein, dass der Terror nie wieder passiert", merkte Wecht an.

"Diese Veranstaltung trägt zu einem kollektiven Geschichtsbewusstsein bei", lobte Bürgermeister Thorsten Herrmann. Die Gedenktafel weise stellvertretend auf die vielen Millionen Opfer des Nazi-Regimes hin.

Dr. Frida Bordon maß der Feier einen hohen Stellenwert zu. Sie zeige, dass eine "Kultur des Erinnerns" gelebt werde. Große Anerkennung zollte sie Thomas von Machui, ehemaliger Lehrer und heute Vorsitzender des Fördervereins, sowie all den Engagierten, die nicht ruhten und mit historischem Forschergeist eine lokalhistorische Spurensuche initiierten, Archive durchforsteten und Quellen suchten. Sie gaben damit den 16 Mitschülern, die Opfer des Nazi-Regimes wurden, eine Stimme. "Die Erinnerung ist die Grundlage für die Gegenwart", bemerkte Dr. Angelika Köster-Loßack, Vorsitzende des Auerbacher Synagogenvereins.

Über die Geschichte der Juden in Bensheim hatte der Pädagoge Matthias Gröbel geforscht. Die Grabsteine auf dem Alsbacher Judenfriedhof zeigen, dass sie über Jahrhunderte hinweg zur Gemeinschaft gehörten. Im 19. Jahrhundert besuchten zunehmend Kinder jüdischer Herkunft die "Lateinschule", das frühere AKG. Ihr Anteil übertraf schon bald bei weitem die zwei Prozent, die die jüdische Bevölkerung in Bensheim ausmachte. Dass sich eine antisemitische Haltung ab 1870 in der Stadt und in der Schule zusammenbraute, lässt sich Gröbel zufolge in diversen Berichten aus jener Zeit nachvollziehen. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg verschärften sich die antijüdischen Repressalien. Anders als auf der Straße soll es in der Lateinschule jedoch keine vulgären Auswüchse des Antisemitismus gegeben haben. 1936 verließen die letzten jüdischen Schüler die Schule. Man weiß, dass diese rechtzeitig vor dem Holocaust geflohen sind und dem Staat den Rücken kehrten.

Anders die mindestens 16 ehemaligen jüdischen Schüler früherer Jahrgänge, die die Nazi-Herrschaft nicht überlebten. Sie besuchten die Lateinschule bereits vor dem Ersten Weltkrieg.

Die Namen der 16 ehemaligen jüdischen Mitschüler

"Das sind wir unseren ehemaligen Mitschülern schuldig", betonte Matthias Gröbel mit Blick auf das von Schülern gestaltet Relief. Eine Projektgruppe unter Leitung von Paula Sippel und Jochen Burhenne hatte das in Bronze gegossene Kunstwerk geschaffen.
Symbole wie der Judenstern, die Bahnschienen des Deportationszuges, die Absperrzäune des KZ und die geschlossene Tür des AKG übermitteln die Botschaft treffend. Es wird an einer Mauer auf dem Schulhof mit einer Namenstafel der 16 Mitschüler angebracht: Robert Bruck, der von Dresden deportiert wurde, Leopold Laufer, der im KZ Theresienstadt starb, Ludwig Guthorn, der von Schwanheim ins KZ Theresienstadt kam, Moritz Bamberger, der ebenfalls sein Leben in Theresienstadt lassen musste, Gustav Wolf, der ins KZ Auschwitz verschleppt wurde, Abraham Bendheim, der das Internierungslager Rivesaltes nicht überlebte, Jakob Jaffa, der wie auch Zacharias Bendheim nach Auschwitz deportiert wurde. Den Freitod wählte Salomon David aus Zwingenberg. Der Auerbacher Hugo Hahn starb im Ghetto Minsk, Max Jaffe, Arthur Mayer, Alex Lewin, wie auch Gustav und Siegmund Abraham wurden in Auschwitz ermordet, Hermann Oppenheimer ließ sein Leben im Ghetto Minsk.

Die Gedenkveranstaltung umrahmte das Duo Sax'n Guitar mit Dr. Hans-Jürgen Boysen-Stern und Rainer Michels mit eindrucksvollen musikalischen Klangbildern. moni

Samstag, 09.11.2013 – Bergsträßer Anzeiger