AKG: Der Schauspieler Christian Wirmer inszenierte Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“ als Figurentheater
Wunderbar grotesk
Der Schauspieler Christian Wirmer stutzte die in der literarischen Vorlage bereits wunderbar grotesk überzeichneten Adeligen erneut zurecht und ließ sie wie in einer Zirkusarena auf dem Drahtseil tanzen. Dem blanken Spott, den der Autor - getarnt in einer Komödie - auf die Aristokratie des 19. Jahrhunderts ergoss, gab der Regisseur und Darsteller eine zusätzliche Note, die das Publikum begeisterte. Wie auf einer Wäscheleine hingen die Figuren aus weißem Papier und das meist im Profil: Männer im Frack, Frauen in langen Kleidern mit eng geschnürtem Oberteil. Recht kleine Figuren, die im Lichtkegel der Scheinwerfer aber imposante Schatten auf die grüne Leinwand warfen. Man durfte gespannt sein, wie das Figurenkabinett in Szene gesetzt werden würde.
Christian Wirmer hauchte den Figuren des Stücks tatsächlich ein unbändiges Leben ein und zeichnete jede in ihren typischen Charakteristika. Ob im Monolog, im Dialog oder bei einem Auftritt der Massen und egal wie unterschiedlich die Protagonisten auch sein mochten: Der Akteur lieh ihnen nicht nur seine Stimme, sondern sorgte für beeindruckende Mimik und Gestik.
Blitzschnell und pointiert
Dabei sprang er blitzschnell von einer Figur in die andere und untermalte sie pointiert mit einem typisierenden Duktus. Mal mimte er den Prinzen im Dialog mit seinem Freund Valerio oder seiner Mätresse, dann spielte er den von Unsicherheit geplagten König Peter von Popo, um im folgenden Atemzug das untertänige Parlament zu verkörpern. Welchen Part Christian Wirmer auch gerade einnahm: Er bewies eine enorme darstellerische Präsenz. Unmerklich schlüpfte er selbst in die Rollen seiner Puppen und meisterte den Figuren-Spagat im Turbo.
Bekannte Handlung
Der Plot des Lustspiels ist durchaus unspektakulär. Prinz Leonce aus dem Königreich Popo verschreibt sich dem Müßiggang. Er will weder regieren noch heiraten. Sein Vater, König Peter, zieht die Reißleine und will ihn zur Ehe mit Prinzessin Lena aus Pipi zwingen. Davor flüchtet er zusammen mit seinem Kumpan Valerio Richtung Italien.
Unterwegs treffen sie auf zwei Damen und - wie es der Zufall will - ist eine von ihnen Prinzessin Lena. Sie sucht zusammen mit ihrer Gouvernante ebenfalls das Weite, um der Vermählung mit einem Unbekannten zu entgehen. Die beiden verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, wer sich hinter dem anderen verbirgt. Das Paar schleicht aufs Schloss zurück und will dem König durch eine Heirat incognito ein Schnippchen schlagen. Dieser hat bereits mit großem Brimborium die Hochzeit seines Sohnes arrangiert. Wie in einem schönen Märchen lösen sich am Ende die Missverständnisse auf und fügt sich alles wunderbar zum Happy End zusammen. Doch Georg Büchner, der in der sozialrevolutionären Flugschrift "Hessischer Landbote" den "Palästen" den Krieg angekündigt hatte, ist auch in "Leonce und Lena" weit von einer beschaulichen Ästhetik entfernt.
Bitterböse Satire
In dem Lustspiel überzieht Büchner die deutsche Kleinstaaterei und den dekadenten Adel mit einer bitterbösen Satire. Die Puppen illustrierten unterhaltsam das Zerrbild der Figuren. Christian Wirmer zitierte sie alle eng am Original angelehnt auf die Bühne: Prinz Leonce von Popo, der die Langeweile ernst nimmt, sein arbeitsscheuer Freund Valerio oder König Peter, der in seinem tapsigen Umgang eher das Gegenbild eines Herrschers abgibt. Er ließ selbst den Staatsrat aufmarschieren und im Gleichklang nicken. Die jubelnden Untertanen beim Hochzeitszug, die mal "Braten schnuppern durften", waren hohle Drahtgestelle.
Eineinhalb Stunden Powerplay
Der Schauspieler ließ die Puppen auf dem Drahtseil tanzen. Dabei verschmolz er regelrecht mit den Figuren und übernahm deren Handlung. Auf diese Weise brachte er viel Bewegung ins Spiel. Selbst ein minutenlanger Kopfstand gehörte dazu. Ab und an reichte ihm auch die Bühne t und er raste durch den Saal. Eineinhalb Stunden zog er im Powerplay die theatralischen Register und legte dabei einen begeisternden sprachakrobatischer Drahtseilakt im Alleingang vor.
© Bergsträßer Anzeiger, Freitag, 06.03.2015
