PRÄVENTIONSWOCHE AM AKG: Vortrag und Workshops mit Professor Dr. Thomas Rechlin / Alkohol und Nikotin als Einstiegsdrogen
BENSHEIM. Professor Dr. Thomas Rechlin, Ärztlicher Direktor der Vitos-Klinik in Heppenheim und Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Erlangen-Nürnberg, referierte anlässlich der Präventionswoche des AKG im Speichertheater der Schule zum Thema "Sucht". Dabei gab der Mediziner einen umfassenden Überblick über den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und die klinische Praxis.
Der Abendvortrag beschäftigte sich zunächst mit der Frage, was ein süchtiger Mensch ist und welche Süchte es gibt. Die psychologischen Modelle für das Entstehen von Suchtkrankheiten und deren neurobiologische Grundlagen wurden vorgestellt und Strategien zur Suchtprävention und Unterstützungsangebote diskutiert.
Das Einstiegsalter für das Entstehen einer Suchterkrankung liege vor allem in der Pubertät. Nikotin und Alkohol seien für die Jugendlichen nach wie vor die "Einstiegsdrogen".
Wie Untersuchungen zeigen, haben etwa 80 Prozent der Schüler schon einmal geraucht, mindestens 40 Prozent aller "Probierer" werden süchtig. Das Abhängigkeitsrisiko bei Nikotin ist sehr hoch und verursacht den größten Gesundheitsschaden von allen Suchtstoffen. Allerdings ist die Raucherquote auch unter Jugendlichen erfreulicherweise in den letzten Jahren gesunken. Rauchverbote und die Tabaksteuerpolitik scheinen hieran einen maßgeblichen Anteil zu haben.
Shisha-Raucher leben gefährlich
Rechlin weist in diesem Zusammenhang auf den "Mythos" hin, nachdem das Rauchen der Wasserpfeife (Shisha) angeblich weniger schädlich sei. Tatsächlich würden die krebserregenden Stoffe keineswegs weggefiltert, kühler Rauch und Fruchtaromen förderten gar ein tiefes Inhalieren mit einer Intensivierung der Nikotinabhängigkeit.
Völlig verkannt werde in der öffentlichen Diskussion auch die Gefährlichkeit des Konsums von Cannabis (Marihuana), dessen fatale körperliche und psychosoziale Folgen der Mediziner mit Beispielen aus der klinischen Praxis eindrucksvoll veranschaulicht.
Eine wichtige Aufgabe bei der Aufklärung und Prävention komme den Familien und den Schulen zu. Ein sicherer Rückhalt in den Familien (Vertrauen und klare Strukturen) wirke schützend. Die Schulen können und sollen durch Präventionsprojekte wirken. Pädagogische Angebote zur Persönlichkeitsstärkung seien wichtig. Überhaupt sei die Beeinflussung durch positive Verhaltensmodelle (Eltern, Lehrer, Medien) entscheidend, soziale Rahmenbedingungen wie altersabhängige oder regionale Rauch- und Alkoholverbote seien dabei hilfreich.
Prof. Dr. Rechlin führte Workshops mit den neunten Klassen des AKG durch. Den Einstieg bildete eine kurze Selbsterfahrungsrunde, in der die Jugendlichen mittels "Motto-Karten" eine passende für ihre jeweilige Lebenssituation wählten. Im Mittelpunkt des anschließenden Gespräches stand die Frage nach dem guten Leben, bei der die Schüler aufgefordert waren zu reflektieren, was das konkret für sie bedeutet. Nach diesem Einstiegsgespräch stand die Psychoedukation im Vordergrund. Dr. Rechlin erläuterte sowohl die psychiatrischen als auch die neurologischen Fakten.
In der zweiten Stunde kam in Begleitung einer Sozialpädagogin jeweils ein Patient, der sich zurzeit zur Entgiftung in der Vitos-Klinik befindet und im Alter der anwesenden Jugendlichen anfing, abhängig zu werden, um in aller Offenheit von seiner Suchtbiografie zu berichten.
Bei allen Patienten hatte sich nach dem Einstieg schnell eine Polytoxikomanie entwickelt, da die Einstiegsdroge (meist Cannabis) nicht mehr den gewünschten Effekt, nämlich das hirnphysiologisch beschreibbare Phänomen der drastisch erhöhten Dopamin-Ausschüttung und damit das Auslöschen unangenehmer Gefühle, bewirkte.
Die tragischen und bewegenden Schicksale der Patienten hinterließen bei den Jugendlichen große Betroffenheit, aber auch Anerkennung für den Mut der Patienten, in der Öffentlichkeit über ihre Biografie zu sprechen mit der Zielsetzung, junge Menschen vor einem Einstieg in die Sucht zu bewahren. red
© Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 12.02.2015
