AKG: Interessanter Vortrag des EU-Diplomaten Dr. Albrecht Rothacher
Von unserem Mitarbeiter Eric Horn
BENSHEIM. Jeder kehrt irgendwann an den Ort seiner "alten Verbrechen" zurück. So auch Dr. Albrecht Rothacher. 1974 hatte Rothacher das Abitur am Alten Kurfürstlichen abgelegt, nun stattete der EU-Diplomat seiner Alma Mater einen Besuch ab. Allerdings nicht, um über seine AKG-Zeit ("Es war ein großes Vergnügen, aber ich war überglücklich, als es vorbei war") zu sprechen, sondern einen Blick auf die EU-Außenpolitik zu werfen. "Das ist bei 28 Mitgliedstaaten eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners."
Rothacher, von der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament mit der Robert-Schuman-Medaille ausgezeichnet, ist seit vielen Jahren weltweit unterwegs im diplomatischen Auftrag der Europäischen Union. Bei seinem Vortrag im AKG-Speichertheater gab der Sozialwissenschaftler ab und an die vornehme diplomatische Zurückhaltung auf und bezog zu einzelnen außenpolitischen Themen eine klare, teilweise diskussionswürdige Position.
Mit Verweis auf die strengen Grenzsysteme in Australien oder Japan vertritt Rothacher die Ansicht, dass die sogenannte Flüchtlingskrise allein mit strikteren Kontrollen an den EU-Außengrenzen zu lösen sei, mithin nur eine technische Frage geklärt werde müsse, um den Zustrom von Menschen nach Europa in den Griff zu bekommen.
Den Merkel'schen "Wir-schaffen-das"-Vorstoß inklusive des Kontingentvorschlags trotz des Dublin-Abkommens ohne vorherige Konsultationen mit den europäischen Partnern bewertete Rothacher kritisch. "So etwas geht nicht ohne vorherige Absprache", berichtete er von Unverständnis etwa in Paris über diesen Schritt der Bundeskanzlerin. "Den Franzosen hat dabei nicht nur die Logik gefehlt."
Bei seiner Rundreise durch die Außenpolitik der EU, die seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages 2009 institutionell zentral koordiniert wird, beleuchtete Rothacher das Verhältnis der Union zu einigen der wichtigsten internationalen Akteure. Die Beziehungen zwischen EU und Russland könnten unproblematisch sein, erläuterte er, wenn die Europäer dem russischen Wunsch nach fest abgesteckten Einflusssphären folgen würden. Diese machtpolitische Ausrichtung Russlands unter Putin lasse sich allerdings nicht verbinden mit internationalem Recht und multilateralen Prinzipien, auf denen die Außenpolitik der Europäischen Union basiere.
Die Grenzen dieser Soft-Power-Politik der EU seien im Ukraine-Konflikt deutlich geworden. Die Krim sieht Rothacher dauerhaft bei Russland, die Lage im Donbass erachtet er als offen. Die immer wieder geäußerte Kritik, dass die EU bei den Assoziierungsverhandlungen mit der Ukraine die russischen Interessen nicht ausreichend berücksichtigt habe, wies Rothacher zurück. "Was soll man machen, wenn ein Land mit einem Assoziierungswunsch an die EU herantritt - ablehnen?"
Das Verhältnis der EU zu den anderen "Supermächten" ist ebenfalls nicht frei von Differenzen. Die USA würden die Zielrichtung ihrer außenpolitischen Agenda immer wieder ändern, was die Zusammenarbeit erschwere. So hätten die Amerikaner sich nach ihrem zuvor starken Engagement im arabischen Raum mittlerweile aus Teilen dieser Region weitgehend zurückgezogen und würden den Europäern mehr oder weniger die "Aufräumarbeiten" überlassen. Die USA pendelten hin und her zwischen dem Wunsch nach einer aktiveren außenpolitischen Rolle der EU und dem eigenen Verständnis als globale Führungsmacht.
Das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA ist laut Rothacher übrigens keineswegs in trockenen Tüchern. Er könne sich nicht vorstellen, dass TTIP in seiner derzeitigen Form zustande komme.
Der Umgang mit den Chinesen beschrieb der Referent in einem Satz. "Die Chinesen hören sich alles freundlich an, was wir zu sagen haben - und machen dann ihr Ding." Beispiel Nord-Korea: Die EU sanktioniert, China stützt das Regime.
Den Erfolg von Soft Power bzw. Sanktionen zeigten die Beispiele Burma und Iran. In beiden Fällen habe die EU-Politik dazu beigetragen, Fortschritte in Sachen Demokratisierungsprozess (Burma) und Atomabkommen (Iran) zu erzielen.
Dennoch spiele die EU in außen- und sicherheitspolitischen Fragen im globalen Zusammenhang eine untergeordnete Rolle - auch und gerade wegen der derzeit eingeschränkten militärischen Fähigkeiten. England und Frankreich seien die beiden einzigen Mitgliedsstaaten, die aktuell über einsatzfähige Streitkräfte verfügten und damit in der Lage seien, bei Spannungen eine militärische Drohkulisse aufzubauen.
Mit dem möglichen Austritt Großbritanniens (Brexit) aus der Gemeinschaft könne nicht nur die EU-Außenpolitik, sondern die gesamte Gemeinschaft ins Wanken geraten, meinte Rothacher. "Das wäre sehr schwierig zu managen."
Kann die EU ihren außen- und sicherheitspolitischen Einfluss ausweiten? Ja, denkt Rothacher. Indem die Union mehr Ressourcen einheitlich und gezielt auf diese beiden Politikfelder lenkt und dafür andere Bereiche, wie etwa Fischerei- oder Agrarpolitik, unter Einhaltung der allgemeinen Wettbewerbsbedingungen in die nationalen Kompetenzen zurückführt. Das würde einhergehen mit einem erheblichen Abbau der EU-Bürokratie, der vermutlich "gegen einige Widerstände" (Rothacher) der verschiedenen Interessengruppen durchgesetzt werden müsste.
© Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 19.05.2016
